
Faszination Bauen
Eltern kennen den entzückten Ruf: »Ein Bagger!« Er bedeutet, dass man lange – oft sehr lange – am Rand einer Baustelle steht und dem Ballett der Kräne, dem Rangieren der schweren Maschinen und der Arbeit der Männer in Schutzkleidung zusieht. Wir alle haben einen offenen Blick fürs Bauen und für Gebäude, denn sie prägen unsere Umwelt.
Text:
Cordula Schulze
Fotos:
Anne-Sophie Stolz

»Als ich mit unserem Sohn hier auf der Baustelle stand, konnte ich mir überhaupt nicht vorstellen, wie schön unser Haus mal werden würde« – so blickt Gudrun Ziegler zurück auf eine aufregende Zeit. Gemeinsam mit ihrer Schwester und ihrem Mann Gerd Schelling hatte sie im Dammerstock ein kleines Reihenhäuschen aus den 50er-Jahren gekauft. Der Plan: Aus dem maroden Gebäude mit sehr kleinen Räumen und quasi nicht existenter Dämmung ein behagliches helles Heim mit hohem Energieeffizienz-Standard zu machen. Gemeinsam bewohnen die drei heute Erdgeschoss und Obergeschoss; unterm Dach lebt – dank zweier neuer Gauben auch mit ausreichend Platz – Gudruns Schwester. Als Architekt konnte Gerd selbst planen. Er wollte so viel Flexibilität vorsehen, dass man das Haus später auch in veränderter Konstellation bewohnen kann – zum Beispiel, indem das Obergeschoss wieder vom Erdgeschoss abgetrennt wird, damit dort eine separate Wohneinheit entsteht. So war es in den 50er-Jahren, zu Zeiten großer Wohnungsnot, mal vorgesehen. Aber jetzt freuen sich Gudrun und Gerd erst einmal über ihre 115 Quadratmeter Wohnfläche. Auf die Frage, ob sie sich den Stress mit dem Umbau nochmal aussetzen würden, nicken beide: »Ja, es war die Mühe wert. Absolut. Ich fühle mich wohl hier«, erzählt Gudrun. Ich nicke mit und kann sie sehr gut verstehen.
Bauen ist etwas Universelles. Kinder bauen Türme, egal woraus, und wenn sie Glück und genug Platz in der Wohnung haben, verwandeln sie große Kartons in Hütten oder Buden. Der Instinkt, sich ein Haus zu errichten, scheint früh in uns zu wohnen. Als Bürgerinnen und Bürger achten wir darauf, was und wie von unserem Steuergeld gebaut wird. War die Kombi-Lösung nötig? Ist es richtig, dass Karlsruhe demnächst mindestens 20 Millionen Euro in die Verlängerung der Turmbergbahn steckt? Braucht Karlsruhe wirklich ein neues Fußballstadion und ein erweitertes Staatstheater? Warum werden die Straßen nicht in Ordnung gebracht? Was gebaut wird, geht uns an. Wir finden es schön und hässlich, einladend und abweisend, nützlich oder überflüssig, klobig oder elegant und noch vieles mehr. Und das ist auch richtig so, denn wir leben ja in und mit diesen ganzen gebauten Dingen.


Gebäude haben Wirkung
Wer baut, verewigt sich, und so ist Bauen auch immer Repräsentation – Privatpersonen, Firmen, Kirchen, Organisationen und Institutionen teilen ihrer Umwelt etwas mit über sich selbst. Ein international beachtetes Beispiel für Architektur, die keine Macht ausstrahlen soll, ist zum Beispiel das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe. Hier muss man nicht demütig eine Treppe hinauflaufen, sondern kann seit dessen Eröffnung 1969 ebenerdig in ein transparent gestaltetes, luftiges und locker aufgeteiltes Gebäude eintreten. Keine Mauer, kein Zaun »schützen« es vor den Bürgerinnen und Bürger – auch das ein Zeichen dafür, dass das Bundesverfassungsgericht nah an den Menschen sein will.
Denkt man ans Bauen, denkt man auch gleich an Baustellen, sich munter drehende Kräne, LKW voller Materialien, die ratternd an der Baustelle stehen, und die vielen Sprachen der Männer, die auf den Baustellen arbeiten. Man ist voller Respekt vor der harten Arbeit, die diese verrichten. Eine körperlich fordernde Sechstagewoche bei allen Witterungsverhältnissen – das schafft nicht jeder.

Was die Stadt baut
Überraschend viele Schulgebäude finden sich unter den abgeschlossenen
aktuellen Projekten des städtischen Hochbauamts, aber auch die neue
Turmbergterrasse, der Umbau des Tullabads oder die neue Hauptfeuerwache.
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Günstigen Wohnraum schaffen
Eine, die viele Kräne dreht, ist die städtische Wohnungsbaugesellschaft der Fächerstadt und gleichzeitig drittgrößte Vermieterin in Baden-Württemberg, die Volkswohnung. Rund 30.000 Menschen sind in Karlsruhe ihre Mieterinnen und Mieter. Und der Bedarf nach günstigem Wohnraum ist weiterhin groß.
Die Kräne auf den großen Baustellen drehen sich noch. Aber dann wird es voraussichtlich erst einmal stiller, denn die Immobilienwirtschaft und insbesondere die Wohnungswirtschaft liegen in einer Krise. Und die hat mehrere Gründe, wie Stefan Storz, Geschäftsführer der Volkswohnung, erläutert: »Wir haben aktuell noch etwa 600 Wohnungen im Bau – das ist ein großes Pfund und Mehrwert, den wir der Öffentlichkeit in den nächsten Monaten noch zur Verfügung stellen werden. Aber danach müssen wir sehr genau schauen, was sich rechnet. Gewinnmaximierung ist das Letzte, was uns motiviert. Aber wir müssen ja wirtschaften. Und die stark gestiegenen Baukosten schlagen zu Buche. Nicht alle, aber einzelne Gewerke haben sich in den vergangenen Jahren um 40 Prozent verteuert. Dazu kommen die um das mehr als Vierfache gestiegenen Zinsen. Die verteuern eine Finanzierung über 15 Jahre ungemein. Dazu kommt als dritter Grund der Wegfall oder zeitweilige Stopp von Förderungen durch den Bund oder das Land. Wenn Fördertöpfe ausgeschöpft sind, müssen wir unter Umständen geplante Objekte zurückstellen.« Ein weiteres Hemmnis seien die zahlreichen, sich teilweise widersprechenden Regeln, Vorschriften und Gesetze, erläutert Stefan Storz.
Wie kann man denn dann überhaupt noch günstigen Wohnraum schaffen? Schon heute plant, forscht und konzipiert die Volkswohnung daran, wie das Bauen der Zukunft aussehen kann. Ein großes Thema, das die Branche umtreibt, ist das serielle Bauen. Hier entwickelt nicht ein Architekturbüro einen Entwurf, sondern man setzt Prototypen in verschiedenen Größen und Dimensionen ein. Die sind fertig geplant mit sparsam gefertigten Teilen aus guten Materialien. Wenn alles nach Plan läuft, kann man den Quadratmeterbaupreis von 5.000 auf 3.500 Euro senken und dann wird, so Stefan Storz, Bauen auch wieder im Budget möglich.
In Zukunft wird es auch immer wichtiger, die Nutzung von Baustoffen zirkulär zu denken – also beim Bau schon mitzuplanen, wie die verwendeten Materialien Jahrzehnte später weitergenutzt oder recycelt werden können. Und schließlich: »Es würde uns sehr helfen, wenn wir die Komplexität von Gebäuden herunterfahren könnten, weniger Technik einbauen. Denn die ist wartungsintensiv und teuer.« Hoffentlich gibt es bald die Möglichkeit, einfacher zu bauen.

Tipp!
Jährlich am zweiten Sonntag im September findet der Tag des offenen Denkmals statt. Dann hat man die Gelegenheit, auch einen Blick hinter die Kulissen von Gebäuden zu werfen, die sonst für die Öffentlichkeit verschlossen sind – zum Beispiel Industrie- oder Verwaltungsgebäude.
Das Motto 2025 lautet »Wert-voll: unbezahlbar oder unersetzlich?«
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»Altes Geraffel« erzählt Stadtgeschichte
Bauen ist nicht nur, wenn etwas Neues entsteht. Bauen ist auch Sanieren, Pflegen, Erhalten, Weiterbauen, Ausbauen, Umbauen. Eine Stadt wird erst so richtig interessant, wenn sie vielfältig ist, wenn man sehen kann, wie sie gewachsen ist, wenn es Gebäude aus verschiedenen Epochen gibt. Das Bewusstsein dafür war nicht immer vorhanden – erst seit 1972 gibt es in Baden-Württemberg ein Denkmalschutzgesetz und die planvolle Absicht, typische und besondere Zeugnisse aller Epochen zu erhalten. Manchmal klappt das sehr gut und man erkennt schon früh den Denkmalwert eines Gebäudes und bewahrt es für künftige Generationen, wie zum Beispiel die Dammerstocksiedlung oder das Rathaus. Manchmal schützt die Einstufung als Baudenkmal ein zeittypisches Gebäude nicht, wie Karlsruhe mit dem Abriss des denkmalgeschützten Landratsamts am Ettlinger Tor ganz aktuell erleben konnte.
Manchmal verpasst man auch fast die Gelegenheit, etwas Einzigartiges zu retten. Das war der Fall beim Seilerhäuschen gegenüber der Universität. Es entstand bereits acht Jahre nach der Gründung von Karlsruhe und gehört zu den ältesten noch erhaltenen Gebäuden in der Fächerstadt – ein echter Zeitzeuge. Fast wäre es abgerissen worden, als man dort ein modernes Parkhaus errichten wollte. Erst 1982 gab die Eigentümerin, Gertrud Schönherr, ihr Geschäft mit Seilerwaren auf. Sie hatte schon länger um den Erhalt ihres Hauses gekämpft – aus heutiger Sicht sehr vorausschauend von ihr. Es dauerte noch Jahre juristischen Hin und Hers, Zwangsversteigerungen, verschiedene Nutzungskonzepte, bis in den 1990er-Jahren eine tragfähige Lösung mit der Denkmalstiftung und der Volkswohnung gefunden war. Unvorstellbar ist heute der Gedanke, »das alte Geraffel«, wie das Häuschen zwischenzeitlich auch abfällig genannt wurde, abzureißen. Hoffentlich bleibt es uns weitere 300 Jahre erhalten!





Auch das noch!
Nicht nur die Gebäude selbst sind eine Erkundung wert. Es gibt ja auch noch die Kunst am Bau. Wenn man Spannendes entdeckt oder umgekehrt einen künstlerischen roten Faden für Stadtspaziergänge haben möchte, kann man sich hier informieren und die Kunstwerke auch nach Stadtteilen sortieren.
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Weiterbauen und Ressourcen schonen
Es sprechen zahlreiche Gründe dafür: Klimaschutz, Ressourcenschonung, Wirtschaftlichkeit. Deshalb gewinnt der Gedanke, weniger abzureißen und neu zu bauen, sondern mehr mit den vorhandenen Gebäuden zu arbeiten, immer mehr an Beliebtheit. Denn wer ein bestehendes Gebäude neu nutzt, erhält einen Teil des vorhandenen Materials, zum Beispiel das Fundament und die Wände. Das bedeutet, dass ein Großteil des Betons, der für einen Neubau nötig wäre, nicht gebraucht wird. Auch ist es nicht nötig, Boden neu zu versiegeln. Ressourcenschonend! Und genau das ist auch die richtige Vorgehensweise, sagt Dr. Anette Busse vom KIT. Sie ist Expertin für Bauen im Bestand und plädiert: »Wir müssen bei der Betrachtung des CO2-Ausstoßes von Gebäuden unbedingt beachten, welche energetischen Folgen Abriss und Neubau haben. Denn natürlich ist ein neues Gebäude in der Nutzungsphase im Energieverbrauch sparsamer als ein altes – weil es gedämmt ist und energetisch auf einem hohen Standard errichtet wurde. Wenn man aber die Vernichtung des bestehenden Gebäudes und der darin gespeicherten Energie und die Energie für die Errichtung des neuen mit in die Überlegungen einbezieht, dann fällt die Bilanz sehr deutlich für eine Umnutzung des Bestandes aus.« Die Konstruktion des Rohbaus hält in der Regel 100 Jahre, die Fassade 50. Deshalb ist es wichtig, auf Reparaturfähigkeit und Robustheit der Materialien schon beim Bau zu achten, damit ein Gebäude anpassbar und reparaturfähig ist und mit etwas Pflege lange halten kann.
Wer aus einem Bürohaus also ein Wohnhaus macht oder auf ein bestehendes Gebäude Stockwerke nach oben ergänzt, schont Ressourcen. Auch wenn die strengen Gesetze und Vorschriften solche Projekte sehr einengen, wie Anette Busse sagt. So werden zum Beispiel bei Umbauten oder Erweiterungen meist die gleichen Regeln wie beim Neubau angesetzt. Das sollte sich zugunsten einer »Umbauordnung«, wie sie die Architects for Future fordern, ändern.

Einladung zum Hinschauen
Auf den Wegen durch die Stadt kommt man an einigen markanten Gebäuden vorbei, an deren Anblick man sich schon so gewöhnt hat, sodass man vielleicht gar nicht mehr hinschaut. Hier eine Einladung zum Erkunden mit einem Fokus auf Architektinnen und Architekten, die Karlsruhe mit ihren Bauten geprägt haben:
Jüdisches Gemeindezentrum Aus der Luft sieht der Entwurf von Backhaus & Brosinsky aus wie ein Davidstern, am Boden wie allerfeinste moderne Architektur.
Evangelische Markuskirche von Otto Bartning. Maßvolle Moderne, einladende Formen, entworfen vom gebürtigen Karlsruher, am Weststadtkreisel.
Der freche Stephanienbrunnen hinter der Postgalerie, Architekt Hermann Billing. Ein Jugend-
stil-Influencer, der Karlsruhe geprägt hat!
Badnerlandhalle Architekt Reinhard Brettel. Ein Technik-Raumschiff, gelandet am Rande von Neureut.
Kita Kinderuniversum entworfen von Bruno Fioretti Marquez Architekten. Ein grober Klotz oder elegante moderne Lösung? Jeder darf eine Meinung haben.
Lutherkirche an der Durlacher Allee Architekturbüro Curjel & Moser. Das umtriebige Büro prägte die Schweiz und Baden mit ihren markanten Jugendstilentwürfen, darunter auch die Christuskirche am Mühlburger Tor.
Altenheim des Deutschen Roten Kreuzes in der Stephanienstraße. Reinhard Gieselmann hat hier eines der wenigen Werke des Brutalismus in Karlsruhe gebaut. Und was für eins!
Turmbergterrasse aus der Entwurfsfeder von Hähnig | Gemmeke Architekten. Eigentlich vor allem unauffällige Infrastruktur. Sie zeigt, wie Gebautes einen Ort zum Nutzen einladen kann.
Heinrich-Hübsch-Schule am Mendelssohnplatz, Architekt Heinz Mohl. Verrückte geometrische Formen, innen und außen fließen ineinander. Von ihm stammt auch die L-Bank am Zirkel.
Das elegante Badenwerk-Hochhaus ist jetzt Geschichte. An seiner Stelle entsteht das neue Landratsamt. Dennoch ist Claus Möckel ein wichtiger Architekt für die Fächerstadt; er hat auch das Rheinhafen-Dampfkraftwerk entworfen.
Das Vierordtbad, der heutige Bundesgerichtshof, das Prinz-Max-Palais, die Staatliche Akademie der Bildenden Künste und das Polizeirevier am Marktplatz: An Architekt Josef Durm kommt in Karlsruhe keiner vorbei!
Orangerie und Gebäude des Botanischen Gartens Heinrich Hübsch schenkte Karlsruhe viel geliebte und heute oft fotografierte Gebäude.
Wiederaufbau des Schloss Gottesaue und postmodernes Stadthaus am Waldhornplatz: Barbara Jakubeit hat Karlsruhe auf vielfältige Art geprägt.
Das Schloss, heute Badisches Landesmuseum, hat Albrecht Friedrich von Keßlau entworfen. Aus seiner Feder stammt auch das Fasanenschlösschen.
Schwarzwaldhalle Erich Schelling entwarf das schwungvolle Dach des Veranstaltungssaals und zahlreiche weitere Bauten mit Wiedererkennungswert in Karlsruhe, wie zum Beispiel die Gartenhalle, das Wildparkstadion, die Handwerkskammer oder die Nancyhalle.
Nachhaltig und erfolgreich
Gibt es denn auch gelungene und erfolgreiche Umbauten in Karlsruhe? Ja! Der kleinste: Aus dem Wasserturm von 1877 im heutigen City-Park ist ein kleines Hotel geworden. Der größte: In einer ehemaligen Waffen- und Munitionsfabrik kamen das Zentrum für Kunst und Medien, kurz ZKM, die Städtische Galerie, die Hochschule für Gestaltung und die Staatliche Kunsthalle unter. »Diese großen Lichthöfe wären so nie für Museen oder Hochschulen geplant worden, und ich bin sicher, dass sie hier viele künstlerische Entwicklungen ermöglicht haben«, sagt Anette Busse und fährt fort: »Bauen im Bestand erzeugt andere Räume als Neubauten, sie sind nicht nur auf Effizienz getrimmt. Solche gewachsenen Unterschiede und Überraschungen machen die Umwelt lebendig, schaffen Diversität. Und die erzeugt Identität.« Weitere positive Beispiele für das Weiterbauen von bestehenden Gebäuden in Karlsruhe sind aus ihrer Sicht auch die Stadtwerke-Zentrale in Daxlanden oder das Schlachthof-Areal in der Oststadt. Ganz aktuell entsteht im ehemaligen Busdepot im Otto-Dullenkopf-Park eine Skatehalle und weitere Angebote für junge Leute. Es geht also!
Karlsruhe baut unverdrossen, schafft neue Quartiere zum Leben, neue Räume für wirtschaftlichen Erfolg und soziale Teilhabe, Karlsruhe saniert, renoviert, widmet um. Schicht um Schicht verändert sich das Stadtbild. Schön wäre es, wenn künftig bestehende Gebäude stärker in diesen Prozess einbezogen werden. Denn das Gebaute prägt unsere Umwelt und trägt Geschichte in sich. Die Faszination Baustelle bleibt in jedem Fall!
