Träume sind ein trügerisches Ding. Nachts im Schlaf kommen sie in vielen Formen und wirken manchmal mächtig auf den Gefühlshaushalt. Tagsüber helfen sie dabei, Ziele zu erreichen oder einfach nur die Zeit zu vertreiben. Manchmal egeben wir uns absichtlich auf Traumreisen, zum Beispiel, wenn wir uns im Kino eine fesselnde Geschichte erzählen lassen.

Text:

Cordula Schulze

Illustrationen:

Elisa Mutz

Traumblase, Zzzzz

Kleine Kinder haben meist konkrete, überschaubare Träume. Sie wollen Lokomotiven fahren, Bundeskanzlerin, Superman oder Influencerin werden. Wir finden das irgendwie nett, weil es uns an eigene Kinderträume erinnert, und wir meinen, es besser zu wissen. Manchmal sind Träume auch eher profan und mit Besitz verbunden. Ein Pony! Eine Playstation! Ein iPhone! Irgendwann hat man das dann einreguliert und träumt eher vom Traummann oder von der Traumfrau. Und da wird es dann schon fast schmerzhaft schön mit dem Sichverzehren, Sichausmalen und Situationenherbeiträumen. Man stellt sich den ersten Kuss vor, das erste gemeinsame Wachwerden, das erste Mal »Ich liebe dich« von den angehimmelten Lippen zu hören. Zu dem Traum, eine Familie zu gründen, kommen Traumjobs, Traumhäuser, Traumurlaube ... Es nimmt einfach kein Ende mit den Träumen, ein Leben lang.

Sehr oft sind Träume eine Antriebskraft für Veränderung und eine Verbesserung der Zustände. Manch eine*r träumt dann auch nicht nur vom Heimsieg für den Lieblingssportverein oder davon, Rockstar zu werden, sondern von einer besseren Welt, von Frieden und von Gerechtigkeit. Ein gemeinsamer Nenner für viele ist sicherlich der Traum von Liebe, Familie und einer harmonischen Partnerschaft. Wie der in Erfüllung geht, ist ganz unterschiedlich. Manch einer erblickt die künftige Ehefrau am Arbeitsplatz oder beim Abholen eines auf Kleinanzeigen gekauften Wäscheständers. Andere lernen sich im Verein oder über Freunde kennen. Aber nicht immer funkt es, und wenn schon die ganze Familie nach der künftigen Partnerperson Ausschau hält, ist es Zeit, die Dinge selbst anzugehen. Jede*r Vierte in Deutschland ist oder war schon auf Online-Dating-Plattformen aktiv. Für rund die Hälfte von ihnen hat sich daraus eine feste Partnerschaft oder ein Kontakt ergeben, sagt der Statistikdienst statista. Dating-Apps sind der zweithäufigste Kennenlernort für Paare in Deutschland.

Der Traum von der Liebe: Per App hat’s geklappt

Einer, der diesen Weg gegangen ist, heißt Sebastian. Der 36-Jährige wünschte sich eine feste Partnerin und eine Verbindung auf Augenhöhe, wie er erzählt. Er hatte bereits längere Partnerschaften und auch Erfahrungen mit Dating-Plattformen, als er sich vor einiger Zeit wieder alleine fand und sein Glück erneut suchte. Diesmal nutzte er die Plattform Bumble. Die ist ein bisschen anders als länger etablierte Konkurrenten, weil sie zwischen Männern und Frauen den ersten Schritt beziehungsweise die erste Nachricht den Frauen zugesteht. »Das finde ich grundsätzlich gut«, sagt Sebastian, dem die Machtspielchen klassischer Geschlechterrollen beim Daten sowieso zuwider sind. Er habe nie ein schlechtes Date gehabt, blickt er zurück, aber es sei mühsam, manchmal belastend, wenn die jeweils andere Person versucht, sich interessant zu machen, mehrfach kurzfristig absagt oder sich ohne Nachricht ganz zurückzieht.

Deshalb war die Freude nach ein paar Monaten umso größer, als Sebastians Traum von einer Beziehung auf ganz unkomplizierte Weise Wirklichkeit wurde. Seine jetzige Partnerin gefiel ihm auf den Bumble-Fotos sofort, die sie beim Sport draußen in der Natur zeigten. Sie ging gleich offen damit um, dass sie ein 10-jähriges Kind hat. Und nach dem ersten Treffen passte es einfach. »Wir haben uns täglich gesehen und sind schon bald zusammengezogen«, erzählt Sebastian. Und das klappt bis heute super, auch mit ihrem Kind, das ihn schnell akzeptiert hat. »Krass, was in einem halben Jahr alles passiert ist«, lächelt er.

Wer in Karlsruhe auf der Suche nach einem Partner oder einer Partnerin ist, findet zahlreiche Formate – online und in der analogen, echten Welt. Eines davon ist ein in Karlsruhe gegründeter Service namens »Draußen Daten«. Witzigerweise waren die drei Gründer alle bereits verheiratet oder in festen Händen, aber die Idee gefiel ihnen: Singlewanderungen anzubieten, bei der man ungezwungen mit anderen Menschen in Kontakt kommen kann. Rausgehen in die Natur, gemeinsam etwas Schönes erleben. Die Routen sind so geschnitten, dass sie in der Regel gut zu bewältigen sind, und der Zuschnitt der Altersgruppen bringt Menschen in ähnlichen Lebensphasen zusammen. Christian Roder, der die Geschäfte von Draußen Daten heute alleine führt, erzählt: »Viele kommen eher entspannt und gucken einfach, mit wem sie ins Gespräch kommen. Manchmal ergibt sich einfach ein Tag im Grünen, manchmal findet sich ein neuer Freundeskreis – und manchmal wird aus dem Singlewandern ein Leben zu dritt, Hochzeit und Baby inklusive.« Der Biologe hält sich – ebenso wie die Wanderführer – aus den Flirtaktivitäten ganz raus. Ihm geht es darum, Menschen raus- und zusammenzubringen, mit wohlwollender Zustimmung seiner Frau, wie er schmunzelnd betont.

Große und kleine Liebesgeschichten sind ja auch beliebter Stoff für die Kunst und ganz besonders fürs Kino. Wer hat nicht schon Tränen vergossen über Paare, die nicht zusammenkommen konnten, oder solche, die sich am Ende doch fanden? Aber auch für die Nicht-Romantiker*innen unter uns gilt: Das Kino ist ein großartiger Ort zum Träumen. Wenn der dunkle Raum und der weiche Sessel einen umhüllen, die Musik und die Bilder einsetzen, kann man abtauchen – wie in einen echten Traum. Und tatsächlich war der erste erzählte Film aus dem Jahr 1896 zwar nur eine Minute lang, aber er zeigte eine Traumsequenz: eine Fee, die Kinder aus Kohlköpfen zog. So hieß er auch, La Fée aux Choux / die Kohlfee. Die französische Regisseurin Alice Guy-Blaché greift mit diesem etwas verstörenden Bild eine französische Legende auf. Was für ein Thema!

Filme und Träume: Manchmal schwer auseinanderzuhalten

Abbildung im Schwerpunkt, Kinofilm, Metropolis, Kino der20er Jahre

Und so spiegelt die Filmgeschichte an unserem Bedarf daran, sich in Träumen zu verlieren, sehr konkret die Geschichte des 20. Jahrhunderts. In den 20ern waren die Filme wild, utopisch, rätselhaft, surreal. Sie griffen die Atmosphäre der Zeit auf: nervös, zukunftsfiebrig, von Wandel fast überrollt. Nach der Katastrophe des Zweiten Weltkriegs entwickelte sich im europäischen Ausland eine sehr realistische Art des Filmemachens. Man wollte die echten Themen der Zeit aufgreifen. In Deutschland gönnten sich die Menschen, die damals auch in Karlsruhe in Scharen in die zahlreichen Kinos der Stadt strömten, kleine Auszeiten bei aufregenden Western und gefühlsseligen Heimatfilmen.

In den späten 60er-Jahren dann gründeten sich in vielen Städten – darunter auch Karlsruhe – Filmclubs, die aus der verträumten Ecke hinauswollten. Sie wollten Realismus zeigen, schwierige Themen, alternative Lebensformen ergründen, Neues ausloten. Aus dieser Bewegung heraus entstand der Verein, der 1974 das Kino gründete, das heute die Kinemathek Karlsruhe ist. Der Impuls: der Traum vom Bessermachen. »Und den verfolgen wir heute noch«, erklärt Carmen Beckenbach, die in der Kinemathek Öffentlichkeitsarbeit und Programmgestaltung macht. »Wir arbeiten mit vielen Partnerorganisationen zusammen, die ihre Themen über das Medium Film in die Öffentlichkeit tragen. Sie träumen von einer besseren Welt, und wir ermöglichen den Menschen, dazu ins Gespräch zu kommen. Beispiele sind der Landesverband Baden-Württemberg der Deutschen Friedensgesellschaft, aber auch die Themen Gemeinwohlökonomie, Umwelt- und Klimaschutz, queere und soziale Themen.«

Das Kino ist ein Wechselspiel zwischen Realität und Traum – und das macht es so spannend. Marc Teuscher, Geschäftsführer der Kinemathek Karlsruhe, lädt die Zuschauer*innen ein, das übliche Bild vom Kino als Ort der Träume mal auf den Kopf zu stellen: »Die Realität ist nur noch im Kino. Wir sind draußen so gefangen in den Medien, unseren Aktivitäten, dass wir Realität nicht mehr erkennen. Das Kino ist ein Realitätsort!«

Filmtipps

Rund ums Träumen, gesammelt von Marc Teuscher, Carmen Beckenbach und der miteinander-Redaktion

Das Hirn arbeitet so oder so: Beim Träumen und Wachsein

Wenn wir nach einem guten Nachtschlaf wach werden, dann wissen wir ja auch oft nicht, ob wir noch träumen oder schon wach sind, es ist ein angenehm-unangenehmes Gefühl, wie aus einer Narkose aufzuwachen. Es sind noch Fetzen von Traumbildern da, die man irgendwie festhalten möchte, und gleichzeitig zieht der Kaffeeduft der Nachbarn um die Ecke und man weiß: »Es ist Dienstag und ich muss zum Zahnarzt.« Wenn mit den verschiedenen Schlafphasen alles gut ist, haben wir in diesem Moment eine ganze Reihe von Träumen gehabt. Sechs Geschichten, die wir schon wieder vergessen haben, wenn wir erwachen. Nur gelegentlich sind sie so intensiv, dass sie für einige Momente oder für kurze Zeit bleiben. Sich zu erinnern, kann man üben. Dennoch: Es ist ein seltsamer Widerspruch, dass beim Träumen das Gehirn fast so aktiv wie im wachen Zustand ist und dass diese Zauberwelt der Träume trotzdem nur in Bruchstücken in unser »Wach-Gedächtnis« durchdringt.

Abbildung im Schwerpunkt, Gehirn in der Badewanne

Me Time fürs Gehirn: Wie das Einschlafen und die Reinigung des Gehirns ablaufen.

1. Die Verknüpfungen im Gehirn verändern sich beim Einschlafen und führen zum Bewusstseinsverlust.

2. Der Reinigungsmechanismus wird aktiviert. Hirnwasser beginnt zu schwingen und spült zirkulierend die Abfallprodukte aus dem Gehirn heraus.

3. Je nach Schlafphase pulsiert das Gehirn unterschiedlich. Im REM-Schlaf schneller, im Tiefschlaf langsamer.

4. Es wird vermutet, dass die verschiedenen Schwingungsfrequenzen jeweils zu unterschiedlichen Reinigungsprozessen führen.

Was nachts im Gehirn passiert, ist wichtig: Wir verarbeiten das tagsüber Erlebte – und unter Umständen auch das, was nachts geschieht. Wer hat nicht schon Geräusche oder Gerüche in seinen Traum eingewoben, um dann verwirrt festzustellen, dass sie tatsächlich existieren. Dieses Verarbeiten ist wichtig und trägt zur seelischen Gesundheit bei – so die Annahme. Denn warum wir träumen, darüber ist sich die Wissenschaft nicht ganz einig. Einer der Gründe mag sein, dass es schwer zu untersuchen ist, was wir überhaupt träumen, eben weil die allermeisten von uns nicht detailliert davon erzählen können. Sigmund Freud hatte klare Ansichten über die Bedeutung der Träume, und bis heute bemühen sich viele um sein Erbe. Die Wissenschaft weiß jedoch, dass Träume kein Tor zu einer tieferen seelischen Ebene sind, sondern mit konkret Erlebtem zu tun haben. Die Psychologie ist vorsichtig und hilft vor allem in Problemfällen, den Albträumen.

Wer Dinge träumt, die ihn oder sie belasten, dem wird in der Regel zunächst empfohlen, ein Traumtagebuch zu führen. So kann man nach und nach Muster erkennen. Dann helfen Psychologinnen und Psychologen den Betroffenen, aktiv an ihren Traumthemen zu arbeiten. Wer im Wachzustand Lösungen oder eine positive, erfreuliche Fortsetzung für negative Traumbilder entwirft, der hilft dem Gehirn, diese nicht immer wieder neu aufzubauen. Da stellt sich dann ja die große Frage: Was kann man tun, um schöne Dinge zu träumen? Sicherlich hilft es, gut und ausreichend lang zu schlafen. Rituale helfen, auch eine gesunde Lebensführung und tagsüber entspannt schöne Dinge zu tun, damit das Hirn kein »Futter« für Albträume hat. Eine traumhafte Vorstellung! Und ich übe den guten Schlaf und bin ganz froh darüber, dass ich meinem Jugendtraum, in einem Verlag mit Texten zu arbeiten, als Autorin dieses Beitrags ein Stückchen näherkomme.

Schlafphasen

Jeder Schlafzyklus dauert etwa 90–110 Minuten. Den haben wir jede Nacht etwa 4 bis 6 mal.

Abbildung im miteinander, wie die Schlafphasen ablaufen.
Abbildung im Schwerpunkt, Sternchen mit Kopfhörer als Symbol für die Spotify Playlist

Spotify

Ob als Betthupferl, zum Tagträumen oder in Schwung kommen. In unserer traumhaften Playlist ist für alle was dabei.


Abbildung im Schwerpunkt, Tagträumen auf einer Parkbank

Tagträumen

Pro und Contra

Von Sebastian Basler

»I’m just a dreamer, I dream my life away / I’m just a dreamer who dreams of better days«, heißt es in Ozzy Osbournes Lied: Bloß ein Träumer sei das lyrische Ich, es träume, unter anderem, von einem besseren Morgen ohne Wut und Hass. So bereitwillig wir uns diesem Wunsch anschließen, so wenig wollen wir selbst romantische Träumer*innen sein. Über die Vergangenheit grübeln und die Zukunft der Menschheit an den Himmel malen, während wir aus dem Fenster schauen? Echt nicht, Ozzy. Wir haben schließlich Deadlines einzuhalten, E-Mails zu beantworten, Urlaubsfotos von Freunden zu liken, eine Betreuung für die Kinder zu organisieren, weil die Kita schon wieder im Notbetrieb ist.

Volle Terminkalender und lange To-do-Listen sind sichtbare Belege für Hartmut Rosas These, dass sich unser Alltag durch eine nie dagewesene Beschleunigung auszeichnet: Immer mehr und immer schneller lautet die Maxime, die die öffentlichen genauso wie die privaten Sphären unseres Lebens durchzieht. Wer mithalten will, muss effizient sein. Wer dagegen träumt, ist mit den Gedanken überall, nur nicht bei der Geburtstagskarte für Onkel Jürgen, die endlich in die Post muss. Es genießt nicht den besten Ruf in unserer spätmodernen Leistungsgesellschaft, das Träumen.

Dabei ist es vielleicht so wertvoll wie nie zuvor. Mit dem Tempowahn der Gegenwart kommt für den Soziologen Rosa auch das zeittypische Gefühl der Leere und Sinnlosigkeit, das als existenzieller Grundton die Wahrnehmung vieler Menschen bestimmt. Die Beschleunigung sämtlicher Lebensbereiche störe das Verhältnis zwischen Selbst und Welt; es falle immer schwerer, gelingende Beziehungen zu anderen Menschen, zur Natur oder der eigenen Arbeit aufzubauen. Woran es uns fehlt, fasst Rosa unter den Begriff der Resonanz: Wir rufen hinein in die Welt, aber sie antwortet uns nicht.

Das Träumen als Nachdenken, Innehalten oder Zeitverschwenden könnte ein erster Schritt sein, um die Welt wieder zum Klingen zu bringen. Träumerinnen und Träumer steigen für ein paar Minuten oder Stunden aus dem Hamsterrad aus und sind dabei zur gnadenlosen Ineffizienz gezwungen: Sie sind nicht produktiv, erledigen nichts, kommunizieren mit niemandem, Onkel Jürgen muss warten. Aber dafür können sie sich neu ausrichten und herausfinden, was ihnen wichtig ist. Ozzy hat das natürlich schon immer gewusst.

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