Text Konstantin Maier
»Wir können uns alles von der Natur abschauen, die Pflanzenwelt ist in vielen Dingen über Jahrhunderte weiter als Menschen.«
Karlheinz Knoch Gärtner im Botanischen Garten des KIT
In der Wohnung von Kevin Qiu ist alles grün,
in jedem Winkel breiten sich dicke oder dünne Blätter aus und strecken Stämme die Pflanzen in die Höhe. Alle wirken gesund und vor chlorophylliger Kraft strotzend. Der 25-Jährige hat sich komplett der Pflanzenwelt verschrieben und wird gerne mal als »Plantfluencer« betitelt. Die Wortschöpfung ist eine Mischung aus »Plant« (englisch für Pflanze) und »Influencer« (Begriff für eine Person, die in den sozialen Medien Einfluss ausübt). Denn Kevin stellt seine grünen Freunde online zur Schau, zum Beispiel als @kevinsgreenpets auf Instagram. »Ich selbst kann mit dem Begriff ‹Plantfluencer›, nicht viel anfangen, für mich ist es einfach ein Hobby, ein sehr schönes Hobby«, sagt er. Und damit ist er nicht allein. Auf Insta-gram finden sich unter dem Hashtag #urbanjungle 2,2 Millionen Fotos von inszenierten Pflanzen in gut eingerichteten Wohnungen. »Am Anfang war das für mich auch nur ein Dekorationsobjekt, das hat sich aber stark verändert. Jetzt interessiert mich auch die Botanik dahinter«, erzählt Kevin.
»Eine große Monstera verbessert nicht nur die Luft im Raum, sondern macht Wohnungen stilvoller.«
Dorothee Palla dos Santos Urban Jungle, Karlsruhe
Statussymbol Zimmerpflanze
Durch die Pandemie waren wir alle gezwungen, uns mit den eigenen vier Wänden auseinanderzusetzen. Nicht nur die Familie und Haustiere rückten in den Fokus der Aufmerksamkeit, auch Pflanzen. »Ich würde schon sagen, dass ich eine emotionale Bindung zu meinen Pflanzen habe, aber ich sehe vor allem an ihrem Wachstum auch meinen Erfolg«, so Kevin. Sein Interesse an Pflanzen brachte ihn zu seinem Freund, zu vielen Freunden und weiteren Gleichgesinnten. »Für mich ist es gar nicht mal der Social-Media-Aspekt, sondern die Leidenschaft, die wir untereinander als Community teilen.«
Einer amerikanischen Studie aus dem Jahr 2016 zufolge sind Millennials (Jahrtausender) aber zumindest an Zimmerpflanzen tatsächlich interessierter als die Generation ihrer Eltern. Eine Erklärung unter vielen: eine Tendenz der Generation zum Neo-Biedermeier und dem Rückzug ins private Idyll. Dabei sind schöne, beeindruckende Pflanzen selbstverständlicher Teil der Inneneinrichtung. »Eine große Monstera verbessert nicht nur die Luft im Raum, sondern macht Wohnungen stilvoller«, erklärt Dorothee Palla dos Santos. Sie betreibt in der Karlsruher Oststadt einen hippen Blumenladen namens »Urban Jungle«.
Eine wachsende Leidenschaft bei jüngeren Menschen bemerkt auch die Pflanzenhändlerin. »Zu mir kommen meist junge Leute, die sich mit Inneneinrichtung beschäftigen. Viele Kunden sind aber auch einfach echte Sammler«, erklärt sie. Bei den exotischen Pflanzen handele es sich größtenteils um seltene Exemplare, die ausgewachsen schon mal mehrere Tausend Euro wert sein können.
Die Wurzeln der grünen Stadt
Eine große Sammelleidenschaft für Pflanzen und Exoten teilte bereits Karl Wilhelm II. Vor allem die Tulpen hatten es dem Gründer Karlsruhes angetan. Er galt als passionierter Gärtner, den man oft schon im Morgengrauen mit dem Spaten hantieren sah. Gegen Ende seines Lebens waren im Karlsruher Schlossgarten mehr als 5.000 Tulpensorten zu bewundern.
Wenn man so von oben auf Karlsruhe schaut, dann wirkt es so, als wäre die Stadt zwischen den grünen Fingern des Hardtwald aus dem Norden, des Oberwaldes aus dem Süden und dem Schwarzwald aus dem Südosten eingeklemmt. In barocken Planstädten wie Karlsruhe zeigt sich der absolutistische Herrschaftsanspruch des Souveräns über Mensch und Natur. Vom Schloss aus führen Achsen strahlenförmig sowohl in die Wohn- und Verwaltungsstadt als auch, über den Schlosspark, weit hinaus in die Natur.
Damit hat der Gründer schon den Grundstein zur »grünen Stadt« gelegt. Anfangs ließ er prächtige Lustgärten rund um das Schloss errichten und baute später eine umfangreiche Sammlung exotischer Pflanzen auf. Dies setzte sich in der Stadtgeschichte weiter fort, denn auch sein Enkel Karl Friedrich förderte Landwirtschaft und Obstbau und baute sogar eine wissenschaftliche Pflanzensammlung auf. Und wie es jedem Sammler irgendwann so geht, wurden die bisherigen Flächen schnell zu klein. Deswegen ließ der Pflanzenfan 1808 Friedrich Weinbrenner einen botanischen Garten anlegen, der in Grundzügen, 1853 durch Heinrich Hübsch seine heutige Gestalt bekam.
»Worüber wir uns am meisten gefreut haben, war, als der Garten nach seiner Eröffnung so gut angenommen und genutzt wurde, auch von jungen Menschen.«
Maret Stoll, Stefan Helleckes Landschaftsarchitekt*innen, Karlsruhe
Grüne Freiräume gestalten
Heute stehen wir mit dem Landschaftsarchitekten Stefan Helleckes und seiner Mitarbeiterin Maret Stoll im Botanischen Garten. Gemeinsam haben sie den Vorbereich der Schaugewächshäuser umgestaltet. Bei einem Rundgang erläutern sie die Änderungen und Aufgaben.Palmen als Lebenswerk
Einst betrieb vor allem eine Frau wissenschaftliche Forschung im Botanischen Garten. Im 18. Jahrhundert entwickelte sich Karlsruhe durch Karoline Luise von Baden zu einem der geistigen und künstlerischen Zentren des Reiches. Die Ehefrau des Markgrafen Karl Friedrich hatte berühmte Gäste, neben Voltaire so bedeutende Zeitgenossen wie Johann Gottfried von Herder, Johann Wolfgang von Goethe oder Friedrich Gottlieb Klopstock. Der berühmte Wissenschaftler Carl von Linné benannte sogar die Glückskastanie Carolinea prinzeps L. nach ihr. Ihr »Mahlerey Cabinett« und das Naturalienkabinett bildeten den Sammlungsgrundstock für die heutige Staatliche Kunsthalle Karlsruhe und das Staatliche Museum für Naturkunde Karlsruhe.
»Es gibt Palmen bei uns im Gewächshaus, die sind so lange dabei wie ich.«
Karlheinz Knoch Gärtner im Botanischen Garten des KIT
Gemeinschaftlicher Anbau
Knoch musste sich aus gesundheitlichen Gründen zu Hause verkleinern, sein Garten fehle ihm. »Deswegen habe ich in der ‹Solawi Gutes Gemüse› in Weingarten eine gute Adresse gefunden.« Solawi steht für Solidarische Landwirtschaft.Viele Produzenten seien derzeit gezwungen, auf Ertrag und Menge zu achten, und dabei gingen oftmals der Nährwert und die Ökologie verloren. »Auch energetisch ist das ein großes Problem«, erklärt Knoch, »früher wurden aus einer Einheit Energie neun Einheiten im Gemüse, heute ist das Verhältnis oftmals nicht mal eins zu eins.« Rund 13 Prozent der nationalen Treibhausgas-Emissionen stammen laut Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung aus der Landwirtschaft und landwirtschaftlich genutzten Böden. Natürlich sei Knoch bewusst, dass er mit seinem Engagement nicht die Welt retten könne, aber es ist zumindest ein Beitrag. Außerdem würde er ansonsten seine Pflanzen und die Arbeit mit ihnen vermissen.
Grüne Gentrifizierung
Heutzutage ist es kaum jemandem mehr möglich, sich aus dem eigenen Garten zu versorgen. So bekommt das Thema eine hochpolitische Dimension. Es ist gar die Rede von einer »grünen Gentrifizierung«. Gemeint ist damit die Problematik, dass es immer weniger Menschen vor allem in Ballungsräumen gibt, die sich Grünflächen leisten können. Die Stadt Karlsruhe versucht, in ihrem räumlichen Leitbild unter an-derem für diese Problematik Lösungsentwürfe und Szenarien zu entwickeln. Karlsruhe soll »enkeltauglich« werden.
Mit dem Bekenntnis zur Innenentwicklung hat sich die Stadt Karlsruhe als Ziel gesetzt, keine weiteren Flächen zu verbrauchen. Gerade im Hinblick auf das erwartete Ein-wohnerwachstum und die damit erhöhte Nachfrage nach Wohn- und Freiraum werden Parks und Landschaften in Zukunft wichtige Bausteine der gesamtstädtischen Entwicklung sein. »Pflanzen sind unheimlich wichtig für uns Menschen, vor allem in der Stadt«, erklärt Landschaftsarchitekt Stefan Helleckes. Die positiven Effekte von Stadtbegrünung sind vielfältig: Die Pflanzen produzieren Sauerstoff, filtern Abgase und binden Feinstaubpartikel. Sie befeuchten und kühlen die Luft, bieten Platz für Insekten und Vögel, spenden Schatten und sind auch noch schön anzusehen. Und natürlich haben Pflanzen auch nachgewiesene psychologische Effekte auf den Menschen. Von Pflanzen umgeben zu sein, tut uns gut. Das legt inzwischen eine große Anzahl wissenschaftlicher Studien nahe. So waren Schülerinnen einer iranischen Mädchenschule zum Beispiel im Schnitt etwas zufriedener, nachdem Forscher ihren Klassenraum mit Zimmerpflanzen ausgestattet hatten. Und selbst Patient*innen können nach einer Operation schneller wieder aus dem Krankenhaus entlassen werden und benötigen weniger Schmerzmittel, wenn sie in einem Zimmer mit viel Grün anstatt in einer kargen Umgebung untergebracht werden.
»Das Potenzial der pflanzenbasierten Medizin ist aus unserer Sicht riesig und lange noch nicht ausgeschöpft.«
Dr. Uta Wanner Pressesprecherin der Dr. Willmar Schwabe GmbH & Co. KG
Heilpflanzen vor den Toren der Stadt
Daneben haben Pflanzen in der Medizin schon immer eine wichtige Rolle gespielt. Die Kenntnisse über die Heilkräfte der Natur waren bereits in Mesopotamien, im alten Ägypten und in der klassischen Antike vorhanden und wurden auch im Mittelalter und in der frühen Neuzeit weitergegeben und fortentwickelt. Mit dem Aufschwung der organischen Chemie im späten 19. Jahrhundert ging die Verwendung von Heilkräutern in der Therapie zwar rasch zurück, doch wurden die Vorteile der mild wirksamen und nebenwirkungsarmen Arzneimittel vielseitig erkannt. In Staffort, vor den Toren Karlsruhes, befindet sich mit der »Terra Medica« eine der – nach eigenen Angaben – artenreichsten Arzneipflanzenkulturen Europas. »Wir kultivieren dort auf 15 Hektar rund 300 Arzneipflanzen-Arten aus aller Welt«, so Dr. Uta Wanner, Pressesprecherin der Dr. Willmar Schwabe GmbH & Co. KG. Die »Terra Medica« beheimate Pflanzen aus Nord- und Südamerika, dem Mittelmeergebiet und natürlich auch eine Vielzahl an traditionellen heimischen Arzneipflanzen.
»Das Potenzial der pflanzenbasierten Medizin ist aus unserer Sicht riesig und lange noch nicht ausgeschöpft«, erklärt Wanner weiter. Durch den Anbau in Staffort habe das Unternehmen sämtliche Arbeitsschritte der Pflanzenkultur in der eigenen Hand: »Wir wissen, woher das Saatgut stammt, und stellen sicher, dass keine Pflanzenschutzmittel verwendet werden.« In der »Terra Medica« werde dabei bereits seit 1976 konsequent nach Umweltschutz- und Nachhaltigkeitskriterien gearbeitet. Seit 1998 ist der Anbau ökologisch zertifiziert.
»Manche Arzneipflanzen sind sehr schön, etwa die Ar-tischocke mit ihren prächtigen violetten Blütenständen oder die Echinacea-Pflanze, der Purpur-Sonnenhut. Andere Arzneipflanzen wie Löwenzahn, Giersch und Brennnessel sind eher unauffällig oder alltäglich. Im Ziergarten gelten sie als Beikraut, in der Naturheilkunde hingegen werden sie als wichtige Heilpflanzen genutzt«, erklärt die Unternehmenssprecherin.
Pflanzenwelten erkunden
Tiefe Einblicke in den Botanischen Garten des KIT gibt es hier in der Fotosafari der Fotografin Anne-Sophie Stolz.