Mit Neuem umzugehen, gehört zum Alltag dazu. Manchmal ist das eine Freude: neue Rezepte nachkochen, neue Menschen kennenlernen, sich kreativ betätigen und etwas Neues schaffen. Manchmal ist Neues aber auch eine Last: Nach dem Upgrade aufs neue Betriebssystem ist am Computer alles wieder anders, und warum hat man es am Telefon immer öfter mit Sprachsystemen anstatt mit Menschen zu tun? miteinander geht der Frage nach, was das Neue ausmacht.

neu

Bedeutungen:
vor kurzer Zeit gemacht oder geschehen
noch unbekannt, unvertraut
Quelle: Wikipedia

Neues kommen sehen

Text: Cordula Schulze
Fotos: Anne-Sophie Stolz

Als ich noch zur Schule ging, in den 80er-Jahren, gab’s zuhause den ersten Computer. Meine Eltern nutzen ihn für Nützliches und erkundeten seine Möglichkeiten. Ich erklärte, meine Zeit nicht mit so einem Ding verbringen zu wollen – niemals! Ich hatte Besseres vor. Meine Einschätzung, wie wichtig diese bahnbrechend neue beigegraue Kiste im Arbeitszimmer wohl sein würde, war grundfalsch oder vielleicht auch genau richtig – wer weiß? Meine Mutter hatte in den 60ern schon mit Lochkarten am Uni-Computer gearbeitet und fremdelte daher also wesentlich weniger als ich.

So ergeht es uns wohl allen immer wieder. Dauernd sind wir mit Dingen und Prozessen konfrontiert, die das Label »neu« oder »innovativ« tragen. Das stellt uns vor Anpassungsstress: Man muss entscheiden, ob man den Umgang mit einer künstlichen Intelligenz wie Siri oder Alexa lernen oder ablehnen will. Nicht alle haben die Möglichkeiten, Innovationen für sich zu nutzen. Für andere wiederum wird Teilhabe und Fortschritt erst durch technische Neuerungen möglich, zum Beispiel weil es heute leicht ist, sich in Videokonferenzen live zusammenzuschalten, ohne an einem Ort zusammenzukommen.

Innovationen für eine gute Zukunft

Wir befinden uns mitten in einer großen Innovationswelle, der Digitalisierung, die ihrerseits vom nächsten Megatrend überrollt wird, der künstlichen Intelligenz. Wir alle sind Akteure in dieser enormen Veränderung, der größten, wie man sagt, seit der Industrialisierung. Denn wir bestimmen mit, wie schnell wir Wandel und Veränderung akzeptieren – dadurch, wie wir konsumieren, beispielsweise ob wir mit Bargeld bezahlen oder nicht, und welche Parteien wir wählen, je nach deren Innovationsfreudigkeit. Karlsruhe macht sich gerade bereit, seine Rolle in der KI-Allianz Baden-Württemberg zu spielen. Und mit diesen Entscheidungen sind wir – Wirtschaft und Gesellschaft – wesentliche Akteure bei der Bewältigung von Zukunftsfragen. Univ.-Prof. Dr. Marion Weissenberger-Eibl vom KIT sagt: »Ziel von Innovation muss es sein, auf eine nachhaltige Zukunft zuzusteuern. Die 17 Nachhaltigkeitsziele der Vereinten Nationen geben den Rahmen vor. Sie zeigen auf, in welchen Bereichen es große Herausforderungen gibt, für die wir Innovationen benötigen.«

Welche Innovationen werden denn die Forschung besonders beschäftigen? Auf diese Frage erläutert die Professorin, die auch das Fraunhofer-Institut für System- und Innovationsforschung ISI in der Waldstadt leitet, dass Fraunhofer-Forschende 51 Zukunfsthemen identifiziert haben, die für die Angewandte Forschung relevant sind, »darunter zum Beispiel Quantencomputing, künstliche Photosynthese oder Small Energy Harvesting, also die Gewinnung von kleinen Energiemengen aus verschiedenen Umgebungsquellen wie Licht, Wärme, Vibrationen oder Bewegung«.

Noch eher als Zukunftsmusik bezeichnet sie Entwicklungen, die Forschung und Innovation langfristig prägen könnten: »Brain-Machine-Interface beschreibt die direkte Kommunikation zwischen dem menschlichen Gehirn und einem externen Gerät, wie einem Computer. In diesem Zukunftsszenario kann der Computer sowohl Signale aus dem Gehirn lesen und verwerten als auch Informationen an das Gehirn schicken. Daraus ergeben sich zahlreiche Anwendungsgebiete: Ein querschnittsgelähmter Patient beispielsweise könnte dank einem Brain-Machine-Interface lernen, seine Gliedmaßen durch seine Gedanken zu bewegen«, erklärt Weissenberger-Eibl.

Wissen weitergeben, Ideen wachsen lassen

Luca Niese kümmert sich im FabLab um die Öffentlichkeitsarbeit. Der Verein unterstützt seine Mitglieder dabei, Neues handwerklich-technisch auszuprobieren und zu entwickeln. Im FabLab Karlsruhe ist natürlich auch die Klingelanlage selbst gebaut und formschön!
Luca Niese kümmert sich im FabLab um die Öffentlichkeitsarbeit. Der Verein unterstützt seine Mitglieder dabei, Neues handwerklich-technisch auszuprobieren und zu entwickeln. Im FabLab Karlsruhe ist natürlich auch die Klingelanlage selbst gebaut und formschön!

Was Innovation von »nur« Neuem unterscheidet, ist ihre Marktfähigkeit und -reife. Davon sind die Objekte, die im Fa­b-Lab Karlsruhe entstehen, noch weit entfernt. Aber es herrscht eine Atmosphäre freundlicher Unterstützung beim Tüfteln, Ausprobieren und Arbeiten an Ideen in diesem gemeinnützigen Verein, der seinen Sitz im Alten Schlachthof im Osten Karlsruhes hat. Hier gibt es Lasercutter, 3D-Drucker, rechnergesteuerte Fräsen, aber auch klassische Maschinen wie zum Beispiel Nähmaschinen. Die rund 300 Mitglieder verfolgen ihre Projekte, erwerben neues Wissen oder geben ihres weiter, indem sie Patenschaften für Maschinen übernehmen oder Workshops anbieten. Die meisten von ihnen sind Männer, aber die Familientermine sind auch zunehmend beliebt. Und was entsteht im FabLab? »Man kann die absurdesten Sachen bauen«, schmunzelt Johannes, langjähriges Mitglied. Vom Modellbau bis hin zu Formen für künstlerische Prozesse, von Ersatzteilen bis hin zu Spielfiguren – der Fantasie sind keine Grenzen gesetzt. Dass der Zugang zu Material und Maschinen niedrigschwellig und leicht sein soll, gehört zum Gedanken der FabLab-Bewegung: Die »offene Werkstatt« steht allen offen. Damit bettet sie sich ein in die Open-Source-Bewegung, in der Prozesse und Wissen der Allgemeinheit zur Verfügung stehen. Ein bekanntes Beispiel für diesen Ansatz ist Wikipedia, die freie Online-Enzyklopädie. »Es gibt für den 3D-Druck große Online-Bibliotheken mit Vorlagen. Die nutzen wir und Nutzer*innen laden auch Modelle hoch«, erzählt Luca Niese, Öffentlichkeitsbeauftragter des FabLab. Und wer weiß, ob nicht demnächst eine spannende Erfindung hier passiert?

Utopie

»Wir müssen uns wieder darin üben, utopisch zu denken.
Wir haben es verlernt, in politischen und sozialen Sehnsüchten zu denken. Wir müssen üben, uns wieder das vorzustellen, was es noch nicht gibt; was wir noch gestalten können. Wir müssen Handlungsmöglichkeiten denken.«
Carolin Emke, Philosophin und Autorin

Empowerment

Im 19. Jahrhundert wurden Mädchen in Höheren Mädchenschulen vorwiegend auf die Ehe vorbereitet, während Jungen eine formelle Bildung erhielten. Das sollte sich in Karlsruhe früher als in anderen deutschen Städten ändern: Auf Anregung des Vereins Frauenbildungs-Reform sprach sich der Karlsruher Stadtrat für die Einrichtung eines Mädchengymnasiums aus. Am 16. September 1893 eröffnete im Gebäude der Volksschule in der Waldstraße 83 das erste Mädchengymnasium Deutschlands. Was für eine Neuigkeit! Die ersten vier jungen Frauen legten ihr Abitur 1899 ab.

* Mit Empowerment bezeichnet man Strategien und Maßnahmen, die den Grad an Autonomie und Selbst­­bestimmung im Leben von Menschen oder Gemeinschaften erhöhen sollen und es ihnen ermöglichen, ihre Interessen eigenmächtig, selbstverantwortlich und selbstbestimmt zu vertreten. Quelle: Wikipedia

Commoning

bezeichnet selbstorganisiertes und bedürfnisorientiertes gemeinsames Produzieren, Verwalten, Pflegen und /oder
Nutzen. Dabei bringen die Beteiligten ihre Fähigkeiten ein und bestimmen miteinander über Art und Umfang des Umgangs mit den Ressourcen und Produkten. Commoning benennt somit jene sozialen Praktiken, die sich als »ebenbürtiges Miteinander im gemeinsamen Tun« beschreiben lassen.
Quelle: Wikipedia

Gründen

Das noch junge Karlsruhe pflegt eine echte Gründungskultur – vielleicht weil es noch nicht so lange her ist, dass Markgraf Karl Wilhelm von Baden-Durlach Menschen in die Stadt holte, um etwas Neues auf­zubauen. Die Zahl der erfolgreichen Gründungen und Start-ups ist in Karlsruhe jedenfalls konstant hoch: Bei der Anzahl der Neugründungen pro Einwohner liegt Karlsruhe laut »Next Generation – Startup-Neugründungen« in Deutschland auf Platz drei hinter München und Berlin.

Bereit sein für das, was wir noch nicht kennen!

Diesen Gemeinschaftsgedanken, der Kollaboration zum Entwickeln neuer Ideen würdigt, finde ich auch im Gespräch mit Alistair Hudson wieder. Der 55-jährige Brite ist seit April 2023 wissenschaftlich-künstlerischer Leiter des Zentrums für Kunst und Medien Karlsruhe, kurz ZKM. Das Haus hat sich seit seiner Gründung in den 80er-Jahren darauf spezialisiert, neue Trends zu sammeln, zu zeigen, zu erforschen und auch voranzutreiben. Innovation ist, wie Alistair Hudson sagt, gewissermaßen die DNA des Hauses. Eine der ganz aktuellen Entwicklungen im Kunstbetrieb sind NFTs, digitale Unikate, die so etwas wie eine Goldgräberstimmung auf dem Kunstmarkt ausgelöst haben. Interessant daran ist, dass die Technologie dahinter heute für gesellschaftliche Prozesse genutzt wird, sie bringt Communitys miteinander in Austausch, ermöglicht demokratische Prozesse in Ländern Afrikas oder Südamerikas. Noch in diesem Jahr wird das ZKM ein Beispiel dazu ausstellen, das eine Gemeinschaft von Landarbeitern in der Demokratischen Republik Kongo thematisiert. Sie nutzen NFTs, um Geld für nachhaltige Landwirtschaft zu generieren. In einer Region ohne richtige Infrastruktur, aber sie können diese digitale Anwendung für sich nutzen.

Alistair Hudson ist seit April 2023 wissenschaftlich-künstlerischer Leiter des Zentrums für Kunst und Medien Karlsruhe. Er setzt auf einen spielerisch-kooperativen Ansatz, um auf neue Ideen zu kommen.
Alistair Hudson ist seit April 2023 wissenschaftlich-künstlerischer Leiter des Zentrums für Kunst und Medien Karlsruhe. Er setzt auf einen spielerisch-kooperativen Ansatz, um auf neue Ideen zu kommen.

»Oftmals merkt man erst im Nachhinein, wie wichtig – oder unwichtig – eine Innovation war. Deshalb begrenzen wir uns im ZKM auch nicht, wir begreifen es als unsere Aufgabe, zu experimentieren und Dinge zu tun, die woanders nicht getan werden. Spielen ist eine Methode, zu lernen. Und dazu laden wir auch das Publikum ein. Hier treffen Wissenschaft, Kunst und Technologie aufeinander«, sagt Alistair Hudson.

»Viele Technikfirmen hier in der Region wollen gerne mit Künstlern zusammenarbeiten in ihren Forschungs- und Entwicklungsprozessen. Und genau darum geht es, um den Prozess, die Zusammenarbeit, die kognitive Vielfalt in einem Team. Und nicht so sehr um den einen, einzigartigen künstlerischen Einfall!« Und auch zukünftig werde das ZKM weiter nach innovativen Ideen und Prozessen Ausschau halten, während es gleichzeitig die Innovationen der Vergangenheit pflegt und konserviert. Zu den Zukunftsthemen zählen künstliche Intelligenz, Quantencomputing und biologisches Computing. Und Alistair Hudson ist klar: »Wir müssen bereit sein für Technologien, die wir heute noch nicht einmal kennen. Das ist eine aufregende Sache.« Und das sehen wir natürlich ganz genauso!

Quantenmodell
NFT

steht für »non-fungible token«. Das bedeutet, ein digitales Kunstwerk mithilfe von Blockchain-Technologie als Unikat zu zertifizieren. Aus beliebig reproduzierbaren digitalen Werken können so durch Verknappung rare Einzelstücke werden. Seit 2014 gibt es NFTs, 2017 erwarb das ZKM erste Crypto-Kunstwerke. Die Blockchain-Technologie kommt ursprünglich bei Kryptowährungen wie Bitcoins zum Einsatz.

Interview

Was ist das eigentlich?

Das und vieles mehr hat Univ.-Prof. Dr. Marion Weissenberger-Eibl im Interview erklärt. Sie ist In­haberin des Lehrstuhls Innovations- und Techno­­logie­-management am KIT und leitet das Fraunhofer-Institut für System- und Inno­vations­forschung ISI.

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